Was ist ein Trauma

„Trauma is not what happens to you, but what happens inside of you as a result of what happens to you. “ – Dr. Gabor Maté.

Tim: Wir müssen damit beginnen, darüber zu sprechen, was Trauma überhaupt ist. Damit holen wir es aus der Schmuddelkiste. Damit ent-pathologisieren wir es. Trauma ist keine Erkrankung. Es ist die normale Reaktion eines normalen Menschen auf ein unnormales Ereignis!

Es gibt eine Vielzahl an Definitionen für Trauma, die von verschiedenen Berufsgruppen unterschiedlich verwendet werden. In unserer Arbeit geht es um Psychotrauma und selbst das ist schwierig zu definieren. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist das Wort längst angekommen. Ich merke in meiner Arbeit immer wieder, dass jeder irgendwie eine andere Vorstellung davon im Kopf hat, was Trauma ist. In der Folge haben Menschen unterschiedliche Vorstellungen davon, wer „traumatisiert“ ist und wie „Traumatisierte“ aussehen. Auch meine eigene Vorstellung davon hat sich in den letzten 13 Jahren professioneller Beschäftigung mit dem Thema mehrfach gewandelt. Allen voran, weil ich es selbst erlebt habe.

Eine eingängige Definition ist:Trauma ist nicht das Ereignis, sondern das, was als Reaktion auf das Ereignis in uns passiert.“ – Dr. Gabor Maté

Tim: Menschen mit Traumaerfahrung sind nicht automatisch in prekären Lebenslagen. Trauma betrifft jeden Teil der Gesellschaft. Das Funktionsniveau von Menschen mit Traumaerfahrung kann sehr hoch sein. Führungskräfte, Leistungssportler oder Elitesoldaten haben mit ähnlicher Wahrscheinlichkeit Erfahrungen gemacht, die potenziell traumatisierend sind, wie Geflüchtete, Randgruppen oder Drogenabhängige. Wobei natürlich Erfahrungen wie Krieg, Flucht oder extreme Armut in sich sehr belastend sind. Diese Gruppen unterscheiden sich am deutlichsten in der Verfügbarkeit von Ressourcen (personelle/ soziale/ finanzielle). Was sich wiederum darauf auswirkt, wie wahrscheinlich es ist, dass sie eine Traumafolgestörung entwickeln. Aber jetzt wird es schnell kompliziert. Aktuell ist die größte Herausforderung das Wort „Trauma“ und wie ich durch meine Verwendung des Wortes auch die Zielgruppe erreiche, für die unser Angebot ausgerichtet ist. Mein persönlicher Schwerpunkt liegt auf Trauma nach Nah-Tod-Erfahrungen. Also Menschen, die entweder schon klinisch tot waren oder tatsächlich sehr nah dran. Die sich schon verabschiedet haben aus diesem Leben. Allerdings profitieren Menschen mit Trauma und Traumafolgestörungen unterschiedlicher Couleur von unserer Arbeit. Das macht die Zielgruppe wieder weit auf. Es gibt einfach sehr viele Menschen, die schlimme Sachen erleben mussten und die das auch ihr Leben lang mit sich herumtragen.

Tim: Die zwei wichtigsten Bedürfnisse für jeden Menschen sind: Sicherheit (= Abwesenheit von akuter Bedrohung) und Bindung (= das Wissen/die Selbstverständlichkeit, dass es irgendjemanden gibt, der einen liebt). Mit Blick auf Säuglinge wird das besonders deutlich. Alle Säugetierbabys sterben, wenn sie niemanden haben, der sich um sie kümmert. Wenn wir bedroht sind oder uns bedroht fühlen, reagiert unser Körper. Das Stammhirn (u.a. Amygdala, periaquäduktales Grau) und unser vegetatives Nervensystem, also der Teil des Nervensystems, den wir nicht willentlich erreichen können (+ das endokrine System (Hormone)), erledigen diese Aufgabe ohne unser Zutun, also ohne, dass die höheren kognitiven Funktionen „gefragt“ werden. Daraus folgt, dass wir nicht freiwillig Stress-Belastungs-Reaktionen zeigen. Es kann auch gut sein, dass wir uns dafür schämen, uns dafür die Schuld geben, deswegen an uns zweifeln oder uns für „beschädigt“ halten.

Tim: Der erste Wirkfaktor ist ein Kontext, der nicht bedrohlich ist.

  • Dabei müssen wir auch berücksichtigen, dass Menschen subjektiv entscheiden, was für sie bedrohlich ist (s.o.). Es können auch die eigenen Gedanken/Erfahrungen/Erinnerungen (Trauma) sein, die sie bedrohen. Wiedererleben ist ein Teil der Definition von einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Traumatische Erlebnisse werden nicht erinnert, sondern „wiedererlebt“. Samt körperlicher Reaktionen wie Angst, Schwitzen, Tunnelblick, Blackout, Herzrasen (oder starker Pulsabfall) etc. Das macht es ja so gemein für die Betroffenen. Darauf folgt dann ein Vermeidungsverhalten. Betroffenen wollen (verständlicherweise) nicht mehr in die Nähe von Gedanken oder Situationen, die sie an das Trauma erinnern. Das ist das zweite Symptommuster einer PTBS. Zudem entwickeln sie oft eine hohe Wachsamkeit/ Übererregung (Hypervigilanz). Es hilft auch nichts, wenn sie „wissen“, dass sie sich nicht in Bedrohung befinden. Der Körper muss es auch fühlen! Deswegen kommen wir hier auch nicht mit Gesprächstherapie allein weiter. Trauma ist per Definition non-verbal.
  • Wir wissen aus der Traumaforschung, dass, vereinfacht gesprochen, die Aktivität in der linken Hirnhälfte (Ratio, Logik, Sprachzentrum) sowie im Präfrontalkortex (exekutive Funktionen + Bewusstsein von „Selbst“ (sog. Default Mode Network)) in akuter Bedrohung anders involviert sind. Das geht so weit, dass während eines medizinisch induzierten Flashbacks keine Aktivität mehr in den entsprechenden Hirnarealen gemessen wurde. Das sollte uns schon zu denken geben, wenn wir auf die betroffene Person einreden, sie möge sich doch bitte nicht so aufregen. Sie ist schlicht verbal nicht zu erreichen und es ist auch „niemand“ zu Hause, den man erreichen könnte.

Für unsere Aktivitäten heißt das konkret, dass wir darauf achten, dass die Person im Hier und Jetzt sein kann und sich ent-spannen darf. Das Eintauchen in die Naturerfahrungen ist hier ein großer Teil. Wir kennen alle die beruhigende Wirkung von Wäldern, Bergen oder dem Meer. Dazu fordert die Aktivität Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Ein Segelboot gibt genaue Rückmeldung darüber oder es „richtig“ im Wind steht. Das spüren unsere Teilnehmer, ohne dass man darüber reden muss. Dazu die permanenten Reize, das Schaukeln, der Wind im Gesicht, die frische Luft, der weite Blick, das Sonnenlicht und vieles mehr. Es gibt sehr viel Forschung dazu, wir stark die Natur Erholung und Heilung fördert.

Der zweite große Wirkfaktor ist die Gruppe.

  • Wir wissen aus Studien über Psychiatrien, dass der Wirkfaktor „Mitpatient“ größer ist als der Wirkfaktor „Therapeut“. Wir bringen Menschen zusammen, die sich gegenseitig verstehen können, weil sie alle die Veränderung an sich selbst erlebt haben, welche das Trauma in ihnen ausgelöst hat (bewusst und unbewusst). Das gibt ihnen eine andere Glaubwürdigkeit, wenn sie zum Beispiel über das sprechen, was ihnen geholfen hat „wieder der Alte zu sein“. Das ist der gleiche Grund, weswegen die 12-Steps (Anonyme Alkoholiker) so erfolgreich sind. Weil sie von Menschen gelebt werden, die selbst die gleichen Schwierigkeiten haben.
  • In kleinen Gruppen in der Natur unterwegs zu sein, ob auf dem Segelboot oder beim Wandern, schafft unzählige kleine Begegnungen. Ich habe 20 Jahre lang Gruppen in den Bergen geführt. Die Erfahrung bestätigt sich immer und immer wieder. Menschen werden zu Gefährten, wenn es der Rahmen erfordert. Sogar jene, die sich nicht mögen. Sie müssen ja keine Freunde werden, aber für die geteilte Zeit helfen sie einander, sie achten aufeinander, sie nehmen Anteil aneinander, sie übernehmen Verantwortung für ein Gelingen, dass nur in der Gruppe möglich ist. Sprich, sie geben einander ein Gefühl von Bindung. Das löst wiederum im Gehirn die Ausschüttung von Neurotransmittern aus (Dopamin, Serotonin, Endorphine, Oxytozin) durch welche wir uns wohl fühlen, Freude empfinden, besser schlafen, Geborgenheit spüren und zur Ruhe kommen. Die reduzierten Reize in der Natur und die Selbstwirksamkeit im Sport tragen dazu bei.

Tim: Oh, da habe ich viele. Wenn Menschen weinen und zugleich strahlen, während sie sich bedanken. Das rührt mich immer sehr. Zuletzt war ich sehr glücklich zu sehen, wie dankbar und „transformiert“ die Teilnehmer auf unserem ersten Ocean Wind Törn (Kroatien Mai 24.) waren. Unter Auf dem Meer könnt ihr euch selbst ein Bild machen.

Was ist ein Trauma?

Trauma (Griechisch: Wunde) bezieht sich auf eine tiefgreifende oder verstörende Erfahrung, die langfristige Auswirkungen auf das körperliche, emotionale oder psychische Wohlbefinden einer Person haben kann. Traumatische Ereignisse überschreiten oft die Bewältigungsfähigkeit einer Person und führen zu einem Gefühl der Hilflosigkeit und überwältigendem Stress. Trauma kann durch verschiedene Situationen verursacht werden wie Unfälle, Naturkatastrophen, Gewalt, Missbrauch, den Verlust eines geliebten Menschen oder andere lebensbedrohliche Erfahrungen.

Verschiedene Formen von Trauma

Es gibt verschiedene Arten von Traumata, darunter:

  1. Körperliches Trauma: Dies beinhaltet körperliche Verletzungen oder Schäden, wie Wunden, Frakturen oder andere Verletzungen durch Unfälle oder Gewalt.

  2. Emotionales oder psychologisches Trauma: Diese Art von Trauma steht im Zusammenhang mit Erfahrungen, die intensive emotionale Belastung verursachen. Es kann durch verschiedene Ereignisse entstehen, darunter Missbrauch, Zeuge sein von Gewalt, Suizid einer nahstehenden Person oder das Erleben eines schockierenden Vorfalls.

  3. Entwicklungsbedingtes Trauma: Dies tritt während der formenden Jahre einer Person auf und kann deren emotionale und psychologische Entwicklung beeinflussen. Beispiele hierfür sind Vernachlässigung, Missbrauch oder Störungen in der Bindung zu Betreuungspersonen.

  4. Akutes Trauma: Dies bezieht sich auf ein einzelnes, schwerwiegendes Ereignis wie einen Autounfall oder eine Naturkatastrophe.

  5. Chronisches Trauma: Dabei handelt es sich um eine langanhaltende Belastung durch stressige oder schädliche Situationen, oft über einen längeren Zeitraum. Beispiele hierfür sind fortgesetzter Missbrauch, Krieg oder das Leben in einer chronisch unsicheren Umgebung.

Menschen können auf Traumata unterschiedlich reagieren, und die Auswirkungen können stark variieren. Häufige Reaktionen umfassen Schock, Angst, Depression, Albträume, Flashbacks und Verhaltensänderungen. Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jeder, der ein traumatisches Ereignis erlebt, dauerhafte Traumafolgestörungen entwickelt, da individuelle Widerstandsfähigkeit und Bewältigungsmechanismen eine Rolle dabei spielen, wie Menschen solche Erfahrungen verarbeiten und sich davon erholen.

Behandlung

Die Behandlung von Trauma umfasst oft therapeutische Interventionen wie kognitive Verhaltenstherapie (CBT), Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) und andere auf Trauma ausgerichtete Therapieansätze. Unterstützung von Freunden, Familie und Fachleuten im Bereich der psychischen Gesundheit ist entscheidend, um Menschen dabei zu helfen, mit traumatischen Erfahrungen umzugehen und sich davon zu erholen. Wie der „trauma-informed“ Kontext von Segeln helfen kann, erfahren Sie hier.

Was ist eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Eine PTBS ist eine ernsthafte psychische Gesundheitsstörung, die sich als Reaktion auf ein belastendes oder traumatisches Ereignis entwickeln kann. Solche Ereignisse können körperliche Gewalt, sexueller Missbrauch, Krieg, Naturkatastrophen oder schwere Unfälle umfassen.

Die Symptome der PTBS können vielfältig sein und in drei Hauptkategorien eingeteilt werden:

  1. Wiedererleben (Reexperiencing): Betroffene können Flashbacks, Albträume oder belastende Gedanken über das Trauma haben. Diese Erinnerungen können so intensiv sein, dass die Person das Gefühl hat, das Trauma erneut zu erleben.

  2. Vermeidung (Avoidance): Menschen mit PTBS können versuchen, Erinnerungen an das Trauma zu vermeiden. Dies kann sich in Form von Vermeidung von Orten, Menschen oder Aktivitäten äußern, die an das traumatische Ereignis erinnern könnten.

  3. Übererregung (Hyperarousal): Betroffene können übermäßig nervös oder reizbar sein, Schwierigkeiten beim Schlafen haben, sich leicht erschrecken oder in einem angespannten Zustand verharren.

Die Symptome müssen über einen längeren Zeitraum anhalten und das tägliche Leben beeinträchtigen, um die Diagnose einer PTBS zu erhalten. Die Störung kann erhebliche Auswirkungen auf das allgemeine Wohlbefinden und die Lebensqualität haben.

Es handelt sich hierbei um eine psychiatrische Diagnose, die auch nur eine Fachärztin oder ein spezialisierter psychologischer Psychotherapeut stellen darf. Man kann sich also nicht selbst als „traumatisiert“ diagnostizieren (und damit auf die Diagnose PTBS rekurrieren). Daraus folgt auch, dass man niemanden sonst als „traumatisiert“ diagnostizieren kann. Es ist auch nicht empfehlenswert, weil man es schlicht von außen nicht sieht.

Der Begriff Trauma ist längst im allgemeinen Sprachgebrauch angekommen und wird inflationär benutzt. Wir empfehlen, genau hinzuhören WER den Begriff verwendet und WAS diese Person damit eigentlich sagen möchte.

Es wird deutlich, in welcher Breite der Begriff Verwendung findet. Wenn Sie sich unsicher sind, ob Ihre Form des Traumas zu unseren Aktivitäten passt, schreiben Sie uns gerne eine Mail. 

Weiterführende Infos und Links

Die beste Fachgesellschaft im deutschsprachigen Raum zum Thema Psychotrauma ist die „Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT)“.

Weiter empfehlen wir die EMDRIA als Fachverband für Eye-Movement-Desenzitation-and-Reprocessing (EMDR).

Weitere Infos finden Sie unter der Rubrik „Bücher und weitere Links“.

Für Fachpersonen:

Eberle, D.J., Maercker, A. Belastungsbezogene Störungen in der ICD-11. Psychotherapie 69, 179–183 (2024). https://doi.org/10.1007/s00278-023-00707-0

„Belastungsbezogene Störungen“ – Das Paper als PDF. 

Die „Posttraumatische Belastungsstörung“ in Abgrenzung zur „Komplexen Posttraumatische Belastungsstörung“ Cloirtre et al 2013:

Leiden Sie an einer PTBS oder einer KPTBS?

Das ist eine knifflige Frage. In der Realität ist die Antwort selten so eindeutig, wie man sich das wünschen würde. 

Wir empfehlen den A.C.E. (adverse childhood experience) Fragebogen als Screening Werkzeug (ACE-Deutsch). Er setzt sich zusammen aus 10 Fragen, die je mit Ja/Nein beantwortet werden. Je höher die Zahl, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich zu Ihren PTBS Symptomen auch Symptome einer Komplexen-PTBS mischen. Das kann Ihnen und Ihrem Therapeuten einen Hinweis darauf geben, welchen Weg der Therapie sie einschlagen. 

Abschließende persönliche Sätze

Trauma zeichnet Biographien. Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Oft ist es die Antwort hinter „komischen“ Eigenheiten und Verhaltensweisen von uns selbst und anderen. Unsere Erfahrungen (auch und leider insbesondere die Negativen) formen uns. Auch eine Psychotherapie und ein mühseliges Aufarbeiten vergangener Einschnitte schützt nicht davor, dass uns das Schicksal schon morgen die nächste Misere auftischen kann. Wie ein befreundeter Arzt einmal seufzte: „Jedes Leben ist ein unaufhaltsamer Sterbeprozess.“ Wer damit in jungen Jahren und auf unangenehme Art konfrontiert wird, der hat ein Problem. Es zu leugnen heißt, vor der Wahrheit und dem Leben die Augen zu verschließen. Daraus resultiert häufig der o. g. „komische“ Weg. Es anzunehmen heißt, sich auf den langen Weg der Selbsterkenntnis und des persönlichen Wachstums zu machen. Daraus entstehen die schönsten Formen von Liebe, Glück, Zuwendung und Dankbarkeit. Dieser Weg erfordert immer wieder viel Mut und Kraft. Wir sind hier, um dabei zu helfen.